von Dorothea Buschmann, Gymnasiallehrerin für Englisch

Hannah Baker, 16, hat sich das Leben genommen. Sie hinterlässt 13 besprochene Kassettenseiten; bestimmt für diejenigen Personen, die sie mehr oder weniger dramatisch an den Rand ihres Lebenswillens gebracht haben. Es sind oft vermeintlich kleine Anlässe, Gemeinheiten, Lügen oder Übergriffe, die Teil des schulischen Alltags oder des Miteinanders von Teenagern geworden sind.

Doch sie rufen einen snowball effect hervor, der sich verselbständigt und Hannah subjektiv keine andere Wahl als den Selbstmord lässt. Äußerst vital ist dagegen die Vehemenz, mit der sie vor ihrem Tod die jeweiligen Ereignisse Revue passieren lässt. Weder die 13 Personen, die eine Mitschuld an ihrem Tod tragen, noch die Leser entkommen Hannahs Geschichte, die durch die geschickt angelegte doppelte Erzählperspektive eine besondere Dimension erhält.

„No one knows for certain how much impact they have on the lives of other people:“

Hannah Baker in “Thirteen Reasons Why”

Eine deprimierende Geschichte? Eher ein eye opener! Nach der Lektüre dieses Romans kann sich kein Schüler und keine Schülerin (und kein Lehrer und keine Lehrerin) mehr der Tatsache entziehen, dass Menschen nicht behutsam genug miteinander umgehen können und sich nicht genug der Wirkung ihrer Handlungen, Worte, aber auch ihres Wegsehens und Nichthandelns bewusst sein können.

10 Jahre nach dem Erscheinen des Romans hat Jay Asher das ursprünglich geplante Ende des Romans veröffentlicht, in dem Hannah weiterlebt. In Interviews begründet er, warum Hannah sterben musste. Hätte sie weitergelebt, könnten die Leser sich seufzend zurücklehnen, weil es ja noch einmal gut gegangen ist – und die ernsthafte Auseinandersetzung der Leser mit den Themen des Buches und sich selbst wäre optional gewesen.

Alle Themen des Romans (Mobbing, Vertrauensbruch, Rufschädigung, sexuelle Übergriffe unter Alkoholeinfluss, Ausschließen und Stigmatisieren etc.) sind von trauriger Aktualität – auch in unserem Land, dem jüngst (April 2017) in der aktuellen PISA Studie attestiert wurde, dass jede/-r sechste 15-Jährige zum Mobbingopfer wird und der Umgang der Menschen miteinander zu verrohen droht.

Chance statt Gefahr

Hannahs Selbstmord stehen Kapitel für Kapitel implizite positive Botschaften gegenüber, auf die das Hauptaugenmerk des Lesevorgangs gerichtet werden sollte. Was für ein Glücksfall, wenn eine Lektüre, die junge Menschen anspricht, nicht künstlich Sprechanlässe konstruieren muss, sondern aus dem Leben der Schüler gegriffen ist. Wenn die Betroffenheit es erreicht, auf inhaltlicher Ebene Bewusstsein zu schaffen, zur Vorbeugung beizutragen und die Themen es ermöglichen, viele kreative und kooperative Methoden zur Anwendung zu bringen und Perspektivenwechsel zu vollziehen. Hier liegen Chancen für einen sehr lebendigen und möglicherweise prägenden Austausch sowie für eine andere Dimension von Relevanz im Englischunterricht.

Nachhaltiges Leseerlebnis: Mehr als ein Jahr nachdem die Lektüre in einer ganzen Jahrgangsstufe gelesen wurde, konnte ich neulich in einer Pause mithören, wie einige Schülerinnen, die die Romanverfilmung als Serie auf Netflix gesehen hatten, eine lebendige und von beeindruckender Textkenntnis geprägte Debatte über das Verhältnis von Serie zu Roman führten.

Die gleichnamige Netflix-Serie bietet einen zusätzlichen Anreiz und weitere Anknüpfungspunkte für die Lektüre des Romans im Unterricht. Sie hat in den USA zunächst bei Teenagern, etwas zeitversetzt bei Eltern, Erziehern und Psychologen für Furore gesorgt. Bei Teenagern in Form einer binge watching obsession, bei Eltern in Form von Sorgen und Befürchtungen. Das Time Magazine titelt angesichts der in der Serie dargestellten realen Bedrohungen „What It Feels Like When All your Parental Nightmares Are Rolled into One TV Series“. Die Chance liegt jedoch darin, Teenager nicht diesem Buch, dieser Serie, diesen Themen und einem vage befürchteten Nachahmungseffekt zu überlassen, sondern mit ihnen Alternativen des Miteinanders zu erarbeiten, Frühwarnsysteme zu schärfen und sie zu mehr Respekt und Achtsamkeit einzuladen.

Jay Asher
Thirteen Reasons Why
239 Seiten
978-3-12-578044-6