von Barbara Sum

Zwei Minuten Schweigen

Stalinstadt (DDR) 1956, Zeit des frühen Sozialismus: Kurt und Theo sind beste Freunde – zwei ganz normale Teenager, die sich auf das Abitur vorbereiten und in ihrer Freizeit gerne ins Kino gehen. Doch als 1956 der Aufstand in Ungarn brutal niedergeschlagen wird, solidarisieren sie sich mit den Aufständischen.

Sie überzeugen ihre gesamte Klasse, im Geschichtsunterricht eine Minute lang zu schweigen. Durch diese stille Rebellion drücken sie ihren Unmut gegen die brutale Gewalt aus. Die Aktion, eigentlich eine kleine politische Demonstration, hat Konsequenzen. Lehrkräfte, der Schuldirektor bis hin zu hochrangigen Parteifunktionären versuchen den Anstifter dieser Aktion ausfindig zu machen. Es folgen Befragungen und Verhöre, die Schulklasse wird zunehmend unter Druck gesetzt. Ziel ist es, die Klasse zu spalten, indem die Schülerinnen und Schüler gegeneinander ausgespielt werden. Doch sie versuchen zusammenzuhalten – auch als ihnen mit Schulverweis gedroht wird, mit der Konsequenz, niemals in der DDR Abitur machen zu können.

„Freidenker passen nicht in die Republik“

Letztlich führt die eingeforderte Meinungsfreiheit dazu, dass beinahe alle Schülerinnen und Schüler tatsächlich die Schule verlassen müssen und in den Westen flüchten. Republikflucht als einziger Ausweg für standhafte junge Menschen.

Der Film von Lars Kraume (2018 in den deutschen Kinos) begleitet Kurt, Theo und die Anderen auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden, wobei sie dieselben Dinge beschäftigen, wie alle anderen Jugendlichen, aber eben auch dabei, in einem Unrechtssystem eine eigene Position zu welt-politischen Themen zu finden und einzunehmen. Diese Geschichte des Schweigenden Klassenzimmers erscheint nun in Form des Drehbuchs in der Reihe „Selbst(er)findungen“. Der Text ist fächerübergreifend einsetzbar und die verschiedenen historischen Zusammenhänge können bei der Lektüre des Textes berücksichtigt werden. Das schweigende Klassenzimmer eignet sich daher nicht nur für den Deutschunterricht – zumal die Geschichte der DDR u.a. dem Bildungsplan der 9. Klasse im Fach Geschichte entspricht. Eine enge Verzahnung zum Geschichtsunterricht bietet sich auch deswegen an, da es sich hier um einen Tatsachenbericht handelt, weshalb er authentisch Einblick in die Zeit des geteilten Deutschlands ermöglicht.

Anhand dieses Textes können historische Sachverhalte in ihren Wirkungszusammenhängen analysiert werden: Kurt, Theo und Schulkameradin Lena sind starke Identifikationsfiguren für junge Leserinnen und Leser, die durch sie Möglichkeiten, aber auch Grenzen individuellen (wie auch kollektiven) Handelns in der historischen Situation der DDR erkennen. Von der Lehrkraft begleitet können so im Unterricht auch alternative Handlungsmöglichkeiten in autoritären Systemen erörtert werden. Die Tiefe der Verzahnung mit dem Geschichtsunterricht obliegt der Lehrkraft, da eine besondere Stärke des Textes die Losgelöstheit vom historischen Kontext darstellt – so kann hier sehr vertieft in die Zeit des geteilten Deutschlands eingegangen werden, aber auch aktuelle vergleichbare Konflikte können in den Fokus gerückt werden.

Ein Drehbuch im Deutschunterricht?

Neben dem Inhalt ist das spannende Drehbuch auch sprachlich für den Unterricht bestens geeignet: Die dialogische Struktur macht den Text für Schülerinnen und Schüler leicht zugänglich. Die dramaturgische Gestaltung des Textes ermöglicht die Gattung Drehbuch genauer zu betrachten, Merkmale herauszuarbeiten und die Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler auszubauen. Zugleich bieten einige Leerstellen in der Handlung die Möglichkeit, gestaltendes und multiperspektivisches Schreiben verzahnt zu unterrichten.

Demokratiebildung durch Lesen

Die Lektüre des Schweigenden Klassenzimmers bietet eine Auseinandersetzung mit Themen wie Zusammenhalt und Gruppendynamik, Zivilcourage oder der Bedeutung von Meinungsfreiheit, die alle auch heute von großer Wichtigkeit sind. Das schweigende Klassenzimmer ist eine spannende Geschichte engagierter und mutiger Abiturienten und ist im Unterricht vielfältig einsetzbar: Der politisch aktuelle Text liefert nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, sondern bietet zudem viele Diskussionsanlässe.

Drehbuch von Lars Kraume
(nach dem Bericht von Dietrich Garstka)
Das schweigende Klassenzimmer
176 Seiten
978-3-12-666710-4