von Olivier Mentz, Professor für französische Sprache, Literatur und ihre Didaktik

Schülerinnen und Schüler für fremdsprachliche Literatur zu begeistern, erweist sich des Öfteren als echte Herausforderung: Zu schwierig, zu lang, zu geringer Persönlichkeitsbezug – das sind häufig genannte Rückmeldungen von Lehrkräften oder Lernenden, wenn es um die Anbahnung literarischen Lesens geht.

Auf die Kurzgeschichten, die im Rahmen des Prix Clara von französischen Jugendlichen verfasst wurden, trifft das alles nicht zu: Die jungen Autorinnen und Autoren schreiben über Themen, die auch unsere Jugendlichen kennen und berühren, wodurch diese emotional greifbar werden. Die Beschäftigung mit den Kurzgeschichten leistet daher einen Beitrag zur Selbstreflexion und Persönlichkeitsentwicklung der Lernenden. Als Novellen sind die Texte nicht zu lang und nicht zu schwierig.

Insbesondere die Kürze gibt den Lernenden das Erfolgserlebnis, nach nur einigen Jahren Französischunterricht eine authentische Ganzschrift lesen und verstehen zu können. Beste Voraussetzungen, um so literaturästhetisches Lesen anzubahnen sowie Lesefähigkeiten weiterzuentwickeln, um sie schließlich zu festigen.

Die Texte des Prix Clara lassen sich durch die besondere Beschäftigung mit den Themen sowie mit dem literarischen Genre der Nouvelle sowohl bei leicht fortgeschrittenen Lernenden (ab 4. Lernjahr) einsetzen als auch im späteren Lernstadium (ab 5. Lernjahr), wenn es darum geht, die literarische Qualität der Texte genauer zu analysieren.

Le plus beau jour de ma vie

Das Thema dieser Novelle von Tamara Raidt ist die (frühe) Zwangsheirat – eine Thematik, die durch die Zuwanderung in den vergangenen Jahren auch in Deutschland an Bedeutung gewonnen hat. Einerseits handelt es sich hierbei um eine archetypische Novelle, so dass mit ihr eine rein literarische Arbeit anhand des Genres erfolgen kann. Andererseits kann die Geschichte für kreatives Lesen (und Schreiben) genutzt werden, da Leerstellen Raum für eigene Hypothesen geben.

Titel und Cover ermöglichen es, die Lernenden hinsichtlich ihrer eigenen Vorstellung des „schönsten Tages ihres Lebens“ zu aktivieren. Diese eigene Vorstellung während der Auseinandersetzung mit der Lektüre bestätigt und am Ende kontrapunktiert zu bekommen, macht einen besonderen Reiz der Arbeit aus. Die Ergänzung des Textes mit weiteren Quellen erlaubt es den Lernenden schließlich, ein differenziertes Bild zu entwickeln und eine eigene Position zu beziehen.

« C’est le but de la littérature et des mots de voyager parce que les mots ne s’arrêtent pas aux frontières et je suis très contente que ma nouvelle ait fait ce voyage de la France en Allemagne. Et j’espère aussi que ça va permettre aux élèves d’avoir cette proximité-là aussi avec la littérature et surtout avec la littérature étrangère. » sagt die Autorin Tamara Raidt in einem Interview, das für den Unterrichtsgebrauch zur Verfügung steht und zu dem im Dossier pédagogique Arbeitsanregungen formuliert sind.

Authentische Begegnung

Übrigens: Die jungen Autorinnen und Autoren kommen auch für Lesungen und eine literarische Arbeit mit Ihnen und Ihren Schülerinnen und Schülern nach Deutschland. Authentische Begegnungen wie diese ermöglichen nochmals einen anderen Zugang zum Text, denn so wird Literatur und Arbeit mit literarischen Texten lebendig. Die Lesungen und Workshops werden an der Pädagogischen Hochschule Freiburg in Kooperation mit Klett und den Éditions Héloise d’Ormesson koordiniert.

Marie Bouvier, Eugénie Ribault
Lavi‘s Jean / Sombre dessin
39 Seiten
978-3-12-592350-8

Elorn Goasdoué, Elora Roudet
La rumeur / Tel un martyr
47 Seiten
978-3-12-592351-5

Anne-Lise Lafranche, Tamara Raidt
Le plus beau jour de ma vie / Épidémie
39 Seiten
978-3-12-592352-2