von Dennis Fender

Die Rede Charles de Gaulles von 1962 ist ein Meilenstein in den deutsch-französischen Beziehungen – und der perfekte Aufhänger, Lust aufs Lesen zu wecken … und auf Europa!

Wenn Gegenwart auf Vergangenheit trifft

Schüleraustausch in Rouen: Damien lernt seinen deutschen Austauschpartner Moritz kennen. Die beiden verstehen sich auf Anhieb. Gemeinsam mit Zélia, Damiens Mitschülerin, arbeiten sie an einem Geschichtsprojekt, einer Präsentation über eine Rede, die Charles de Gaulle 1962 in Ludwigsburg gehalten hat. Ludwigsburg und Montbéliard gründeten seinerzeit die erste deutsch-französische Städtepartnerschaft und der Besuch des französischen Präsidenten wurde sowohl diesseits, als auch jenseits des Rheins medial begleitet und gefeiert. Während ihrer Recherchen finden die drei Freunde heraus, dass Damiens Großvater Michel persönlich als Student den Auftritt de Gaulles in Ludwigsburg erlebt hat. Sie bemerken an Michels Verhalten, dass während seines Aufenthalts in Ludwigsburg noch mehr passiert sein muss: Er hat sich dort in Marianne (genannt „Nanni“), eine Deutsche, verliebt. Doch mangelnde Kommunikationsmöglichkeiten und wenig erschwingliche Reiseverbindungen ließen den Kontakt schnell abbrechen. Anfänglich wenig begeistert von Zélias Idee, Nanni ausfindig zu machen, beginnen schließlich auch die beiden Jungs, Damien und Moritz, mit den Recherchen. Dabei machen sie eine unglaubliche Entdeckung …

1962: Charles de Gaulle in Ludwigsburg

Die bereits erwähnte Rede vom September 1962, mitten im Kalten Krieg, ist sicherlich ein Meilenstein auf dem Weg der deutschfranzösischen Beziehungen und sie liest sich in der Retrospektive sehr viel moderner, als viele erwarten würden. Der französische Präsident war der Einladung Konrad Adenauers zu einer sechstägigen Reise nach Deutschland gefolgt, die in der Ludwigsburg-Rede ihren feierlichen Abschluss fand: Frei und ohne Notizen sprach der französische Staatsmann zur deutschen Jugend – auf Deutsch: „Während es die Aufgabe unserer beiden Staaten bleibt, wirtschaftliche, politische und kulturelle Zusammenarbeit zu fördern, sollte es Ihnen und der französischen Jugend obliegen, alle Kreise bei Ihnen und uns dazu zu bewegen, einander immer näher zu kommen, sich besser kennen zu lernen und engere Bande zu schließen.“ Aus heutiger Sicht besonders interessant sind auch die Hinweise des Präsidenten auf die in der Zukunft zu erwartenden enormen Veränderungen in den Bereichen Technik, Wissenschaft und Politik, die die Lebensbedingungen für alle spürbar verändern sollten. „Ihre Generation erlebt es und wird es weiter erleben, das Gesamterzeugnis der wissenschaftlichen Entdeckungen und noch einmal der maschinellen Entwicklungen machen es unsere ganze Menschheit in voller Umwandlung zu bringen [sic].“ V. a. im Hinblick auf die tatsächlich eingetretenen Innovationen in den Bereichen Mobilität und Kommunikation, die in der Lektüre thematisiert werden, wird die Rede Schülerinnen und Schüler sehr ansprechen.

Die Wichtigkeit dieses Besuchs in Ludwigsburg wurde 2012, genau 50 Jahre nach der berühmten Rede, erneut ins Bewusstsein gerufen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige Präsident François Hollande besuchten die Stadt und wiesen in ihren Reden wiederholt auf die Bedeutung und die Aktualität von de Gaulles Worten hin.

Interkulturelle Kompetenz und Motivation

Die deutsch-französischen Beziehungen sind Themenschwerpunkt in den meisten Kernlehrplänen des vierten Lernjahres der Bundesländer, sodass diese Lektüre einen wichtigen thematischen Bereich abdeckt. Darüber hinaus hat diese Ganzschrift aber zwei wesentliche Kernanliegen: Erstens soll sie Schülerinnen und Schüler auf die deutsch-französischen Beziehungen, ihre historische Entwicklung und Veränderung durch technische und politische Errungenschaften neugierig machen. Zweitens soll sie dabei Lust auf das Lesen einer französischsprachigen Lektüre wecken. Die sympathischen Figuren – Zélia, Damien und Moritz – helfen dabei, denn sie treffen die Lebenswelt der jungen Leserschaft u.a. mit ihren Interessen: Gaming, Fußball, Selfies, soziale Medien etc. So haben die jungen Leserinnen und Leser einen leichten Zugang zur Handlung und machen dabei Erfahrungen auf mehreren Ebenen: Sie entdecken einerseits mit dem deutschen Austauschpartner Moritz kulturelle Besonderheiten in Frankreich, ohne diese jedoch zu bewerten – ein wesentliches Kriterium interkultureller Kompetenz. Andererseits begeben sich die Schülerinnen und Schüler mit den drei Freunden in der Lektüre auf eine Reise in die 60er-Jahre und erkennen, welche Bedeutung die Beziehung zwischen ihren beiden Ländern für die Menschen persönlich ganz konkret zu jener Zeit hatte und auch heute noch hat. Diese Aspekte bieten ein grundlegendes Motivationsmoment für die Lesenden. Überwiegend in Dialogform ist die Lektüre sprachlich leicht zugänglich und unbekanntes Vokabular ist in den Fußnoten angegeben.

Im Originalton: Der Präsident selbst kommt zu Wort

Ein weiteres Motivationsmoment bietet das Hörspiel, in dem die Figuren lebendig werden. Mit der Klett-Augmented-App steht es kostenlos für Tablet oder Smartphone zur Verfügung. Neuartig ist, dass eine schillernde, historische Persönlichkeit wie Charles de Gaulle im Originalton, eingebettet in der Handlung, zu Wort kommt: Geschichte wird dadurch lebendig – und das im Französischunterricht. Der fächerübergreifende Ansatz birgt weiteres Potenzial.

Begleitet wird die Lektüre mit abwechslungsreichen Aktivitäten, die die verschiedenen sprachlichen Kompetenzen des Lese- und Hörverstehens, Schreibens und die sprachlichen Mittel trainieren. Aber auch Aufgabenformate, die das interkulturelle und historische Bewusstsein der jungen Lernenden stärken, sind in den Aktivitäten zu finden. Schließlich erlangt gerade diese Kompetenz eine immer größer werdende Bedeutung angesichts der gegenwärtigen Lage in Europa: Deutschland und Frankreich bilden das Fundament für ein friedliches Europa. Dabei kommt es nicht nur auf die Beziehungen zwischen den politisch verantwortlichen Personen an, sondern auch auf die Menschen selbst und ihren Willen, miteinander verbunden zu sein. Die Bedingungen dafür waren noch nie so gut, zumindest technisch gesehen – gleichsam ein Geschenk der Geschichte, das es anzunehmen gilt: Wie schon de Gaulle, Adenauer, Hollande und Merkel festgestellt haben, ist es Aufgabe der Jugend, die Beziehungen zu erhalten und weiterzuentwickeln.

Es lebe Europa! Vive l’Europe !

Dennis Fender
Depuis notre dernière rencontre
72 Seiten
978-3-12-591004-1