Genderdiskussionen sind gerade omnipräsent und erhitzen mitunter die Gemüter. Auch im Bereich der Leseförderung ist dies seit Jahren ein vieldiskutiertes Thema.

Studien zeigen immer wieder eklatante Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen im Bereich Lesekompetenz und Lesemotivation. Jungen gelten dort ebenso wie bei zahlreichen Akteuren der inner- und außerschulischen Leseförderung als Problemgruppe.

Bedarf es also einer gendergerechten Leseförderung mit entsprechenden Angeboten für Jungen? Und nur für Jungen?

Angebote wie kicken & lesen, ein Projekt der Baden-Württemberg Stiftung, wollen „durch die Verknüpfung von Bildung und Bewegung Jungen zum Lesen motivieren“. Dabei setzen sie auch auf die Zusammenarbeit mit Trägern und Vereinen der außerschulischen Jugendarbeit.

Erreicht werden damit sicher einige Jungen, aber auch nicht alle. Diejenigen jedoch, die sich nicht für Fußball interessieren bleiben auch hier außen vor. Und was ist umgekehrt mit den fußballspielenden Mädchen, die nicht gerne lesen?

Auch die Webseite www.boysandbooks.de hat die Gruppe der männlichen Leser, insbesondere der leseschwachen und deren Motivation im Blick. Zielgruppe der Website sind Akteure aus dem Bereich der schulischen und außerschulischen Leseförderung, wie Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, Bibliotheken etc. Man findet dort einen Pool an Informationen und zahlreiche Buchtipps, wobei hier auch weibliche Leserinnen nicht ausgeschlossen werden.

Kontrovers wird das Thema diskutiert von vielen, die mit dem Bereich Lesen zu tun haben. Nicht zuletzt von jugendlichen Leserinnen und Lesern selbst.

Werden nicht durch genderspezifische Angebote herkömmliche Rollenklischees, die es doch gerade aufzubrechen gilt, noch manifestiert?

So wandte sich eine Gruppe lesebegeisterter Teenager die Young Bookstagrammer bereits 2020 in einem offenen Brief an die Thalia-Buchhandlung und forderte die Abschaffung von Bücherkategorisierungen für Mädchen und Jungen. Stattdessen wünschen sie sich Thementische. Denn auch Mädchen greifen gern nach Abenteuer- und Fantasybüchern, nach Krimis und Sachbüchern. Alles Genres, die eigentlich den Jungen zugeschrieben werden.

Nicht zuletzt schreiben auch Autorinnen und Autoren ihre Bücher nur in den seltensten Fällen entweder für Mädchen oder für Jungen.

Ja, Jungen lesen anders, aber eben nicht alle. Und auch bei den Mädchen, gibt es jene, die anders als ihre Geschlechtsgenossinnen lesen.

Sollte man anstelle der speziellen Förderung mit maßgeschneiderten Angeboten für Jungen nicht vielmehr alle im Blick haben, also auch diejenigen Mädchen, die dem Lesen bisher wenig abgewinnen konnten? Und anstelle von gendergerechter Leseförderung lieber von gendersensibler sprechen, gerade um geschlechterstereotype Zuschreibungen zu vermeiden?

Wer – gerade auch im schulischen Kontext – tiefer in das Thema einsteigen möchte, der sei verwiesen auf den Band „Literaturunterricht gendersensibel planen“ von Ina Brendel-Perpina, Ines Heiser, et al.