Das gespräch führte tina rausch

„Bunte Fische überall“ hat eine besondere Publikationsgeschichte: Als Sie es 2015 erstmals veröffentlichten, erhielt es wenig Aufmerksamkeit. In einer überarbeiteten Version und mit dem jetzigen neuen Titel landeten Sie 2021 einen großen Erfolg.

Das Buch war 2014 meine direkte Reaktion auf zwei politische Entwicklungen: In Russland wurde der sogenannte Propagandaparagraf verabschiedet, der es Erwachsenen unter Strafe verbot, mit Kindern und Jugendlichen über Themen wie Geschlechtsidentität zu sprechen. Gleichzeitig gingen in Baden-Württemberg besorgte Eltern auf die Straße, weil laut Lehrplan „sexuelle Vielfalt“ Unterrichtsstoff werden sollte.

Leider wurde mein Roman damals explizit als Mädchenbuch vermarktet und der politische Aspekt unter den Teppich gekehrt. Ich wurde sogar gebeten, aus den schwulen Vätern ein heterosexuelles Elternpaar zu machen, um eine größere Zielgruppe anzusprechen.

Dass das Buch knapp zehn Jahre später so erfolgreich ist, hängt sicherlich mit zwei Punkten zusammen: Die Gesellschaft ist viel aufgeklärter und toleranter, es gibt kaum einen Jugendlichen, der den Begriff LGBTQ+ nicht kennt. Gleichzeitig gibt es weltweit Bestrebungen, die hart erkämpften Freiheiten wieder einzuschränken. Aktuell werden Bücher über sexuelle Vielfalt und Rassismus aus Schulbibliotheken in Florida aussortiert. Das ist alarmierend.

Also gehört „Bunte Fische überall“ dringend in den Schulunterricht?

Der oben beschriebene Negativtrend trägt hoffentlich dazu bei, dass Pädagog:innen in Deutschland erst recht für Toleranz einstehen und mit der Wahl der Lektüre ein Statement setzen möchten.

Schullektüren stehen oft im Ruf, anstrengend und langweilig zu sein. Ich will ernste und kontroverse Themen mit einer gewissen Leichtigkeit in die Klassenzimmer bringen. Dabei spielen auch ein Gegenwartsbezug und der dosierte Einsatz von Jugendsprache eine Rolle – Teenager können sich eher mit Figuren identifizieren, wenn diese einen Bezug zu ihrer Lebensrealität haben.

All meine Jugendbücher behandeln gesellschaftspolitische Themen. Kritisch könnte man feststellen: Problemliteratur mit didaktischem Zeigefinger! Gegen diesen Vorwurf schreibe ich an. Es ist meine persönliche Herausforderung, Plots, Stilmittel und literarische Kniffe zu finden, bei denen die Jugendlichen auch mal laut lachen, das Buch gerne zu Ende lesen und sich nicht gähnend von Mitschüler:innen die Zusammenfassung geben lassen. Viele Zuschriften von Jugendlichen und Lehrkräften signalisieren mir, dass das in „Bunte Fische überall“ gelungen ist.

Sexuelle Vielfalt, alternative Familienformen, gleichgeschlechtliche Beziehungen: Es könnte auch Berührungsängste bei Lehrkräften geben …

Ich verstehe, wenn Lehrer:innen erst mal zurückschrecken, denn es braucht auch eine kleine Portion Mut. Doch genau dafür ist das Schulmaterial da! Hier werden ihnen Methoden und Fragestellungen an die Hand gegeben, um vermeintliche Tabuthemen vielschichtig und interessant für Jugendliche aufzubereiten.

Sie lesen häufig in Schulen. Als wie aufgeschlossen gegenüber dem Thema erleben Sie die Jugendlichen?

Meine Lesungen sind interaktiv: Ich suche das Gespräch, locke die Jugendlichen mit Fragen wie „Was ist für dich eine richtige Familie?“ aus der Reserve. Oft gelingt es mir, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich niemand genötigt fühlt, sozial erwünschte Antworten zu geben. Da fallen dann auch mal homophobe Kommentare, bei denen ich schlucken muss und trotzdem dankbar bin, weil mir ein Blick in die realen Verhältnisse gewährt wird und ich nicht Gefangene meiner eigenen Bubble bleibe.

Bei aller Toleranz und Aufgeklärtheit: Es gibt nach wie vor viel Homophobie unter Jugendlichen – und unter Lehrkräften. Diesen neuralgischen Punkt will ich berühren. Es bringt nichts, wenn sich alle offen geben, und später wird der einzige schwule Junge der Klasse weiter gemobbt. Ich möchte herrschende Vorbehalte aufdecken! Es gibt Jugendliche, die keine queere Person persönlich kennen. Die offen zugeben: Ich finde das eklig! Oder auch: Das ist eine Sünde. Diese abwertenden Äußerungen lasse ich, so schwer es auch fällt, erst einmal stehen. Dann verwickle ich die Jugendlichen in Widersprüche. Irgendwann merken sie: Das Leben ist nicht einfach schwarz und weiß – und meist gibt es keine einfachen Antworten. Wenn sie diese Erkenntnis mitnehmen, ist schon wahnsinnig viel gewonnen.

Tina Rausch ist freie Redakteurin, Lektorin und Literaturvermittlerin. Sie gibt Workshops für Schulkassen, Fortbildungen für Lehrkräfte und erstellt Unterrichtsmaterialien.

Kathrin Schrocke
Bunte Fische überall
197 Seiten
ISBN 978-3-12-666107-2

 

Tina Rausch
Bunte Fische überall
Unterrichtshandreichung
56 Seiten
ISBN 978-3-12-666108-9