von Michaela Strobel
Es werden zahlreiche Anstrengungen mit methodisch-didaktisch sehr gut entwickelten Ansätzen unternommen, um Kindern und Jugendlichen das Lesen beizubringen bzw. deren Lesekompetenz zu verbessern. Allerdings führen diese Maßnahmen nicht immer zum gewünschten Erfolg.
Wie wäre es, die Lesefördermaßnahmen einmal völlig neu zu denken? James Clear beschreibt in seinem Buch „Atomic Habits“ (auf Deutsch: „Die 1%-Methode“), dass kleine, regelmäßige Verbesserungen – sogenannte Microhacks – langfristig zu bedeutenden Ergebnissen führen können. Diese Methode lässt sich auf nahezu alles übertragen, bei dem man Verbesserungen anstrebt. Warum also nicht auch auf das Thema Lesen?[1]
Was würde es bedeuten, diesen Ansatz auf die Leseförderung anzuwenden? Zuallererst einmal nicht, dass man seine gewohnten Methoden über Bord wirft, im Gegenteil. Sie sind die Basis. Die Microhacks kommen dazu bzw. lassen sich je nach Bedarf miteinander kombinieren.
Die 1%-Methode in der Leseförderung
Anstatt große Ziele zu setzen, konzentriert sich dieser Ansatz auf winzige, leicht umsetzbare Veränderungen, die das Lesen vereinfachen und effektiver machen.
Alles, was man als Lehrer*in in seinem persönlichen Methodenkoffer hat, auch die kleinste Maßnahme kann als Microhack dienen.
Merkmale effektiver Microhacks
Erfolgreiche Microhacks zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus:
- Niederschwellig: Ohne große Hürden umsetzbar
- Regelmäßig: Kontinuierliche Anwendung möglich
- Kleinschrittig: Überschaubare, machbare Einheiten
- Sofort umsetzbar: Keine aufwendige Vorbereitung nötig
- Motivierend: Positive Verstärkung und Erfolgserlebnisse
Diese Punkte lassen sich gut auf die Leseförderung übertragen.
Konkrete Microhacks für die Leseförderung
Gewohnheitsbildung
Der systematische Aufbau von Lesegewohnheiten steht im Zentrum der Microhack-Methode. Folgende konkrete Umsetzungsideen haben sich in der Praxis bewährt:
- Leseplatz einrichten: einen festen, ansprechenden Leseort schaffen
- Leserituale entwickeln: Lesen immer nach der großen Pause für 5 oder 10 Minuten
- Lesezeit etablieren: Täglich 5-10 Minuten fixe Lesezeit, langsam steigerbar
- Sichtwortschatz trainieren: Täglich 10 Wörter passend zum Unterrichtsfach üben
Umgebungsgestaltung
Eine besondere Rolle kommt der Gestaltung der Umgebung zu. Lesefreundlichkeit und die Präsenz von Lektüre und Übungen stehen im Mittelpunkt.
- Sichtbare Bücher: Bücher offen platzieren z.B. Jahreszeiten- oder Thementische
- Ablenkungen reduzieren: wenn nötig Kopfhörer bereitstellen
- Zusatzmaterial zugänglich anbieten
Motivation steigern
Den Schüler*innen kann – abhängig von der Klassenstufe – die Methode erklärt werden, beispielsweise durch Karten mit verschiedenen Microhacks.
- Erfolge sichtbar machen: Kleine Fortschritte visualisieren
- Positives Selbstbild entwickeln
Praktische Ideen
- Lesepässe: Leseaktivitäten attraktiv dokumentieren
- Differenzierte Texte: Große Schrift und früher Zeilenumbruch
- Silben farbig absetzen: Visuelle Unterstützung beim Erfassen von Wortstrukturen
- Transparente Lesestreifen: Farbige Streifen zur visuellen Hervorhebung der Textzeilen
- Lesepfeil oder Leselineal: dienen der Orientierung
- Lesepult oder geneigte Unterlage: bietet bessere Leseposition
- Hörbücher integrieren: Paralleles Hören und Lesen mit verschiedenen Geschwindigkeiten
- Schul- und Klassenbibliotheken
- Die Montagspakete von Klett bieten für die Grundschule eine große Auswahl an kleinen Übungseinheiten. Sie stehen kostenlos als Download https://grundschul-blog.de/montagspakete-methoden-materialien-systematische-lesefoerderung/#inhaltselement_montagspakete zur Verfügung.
Digitale Hilfsmittel
- QR-Codes zu Hörtexten und differenzierten Aufgaben
- Vorlesestift für selbstständiges Lesen
- E-Reader mit einstellbarer Schriftgröße
- Lese-Apps mit interaktiven Übungen
Soziale Komponente
Lesen ist immer auch ein sozialer Prozess und lebt von Vorbildern und Austausch.
- Ehrenamtliche Lesepaten
- Lesebuddy-System: Lesetandems für gegenseitige Motivation
- Kurze Lesezirkel: 10-15 Minuten gemeinsames Lesen und Austausch
- „Buchtipp der Woche“: Regelmäßiger Austausch über Leseentdeckungen
Microhacks für zuhause
Leseförderung soll kein isoliertes Ziel von Schule sein. Auch zuhause können Microhacks eingeführt werden. Eine kurze Information für die Eltern ist sicher hilfreich.
- Vor dem Schlafen lesen: 10 Minuten mit Buch (kein digitales Gerät)
- Dialogisches Lesen: Interaktives Lesen und Sprechen über den Text
- Sonntagsritual: Nach dem Frühstück eine kurze Geschichte vorlesen
Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts
Die Entwicklung eines positiven Selbstkonzeptes im Sinne „Ich bin ein Leser bzw. eine Leserin“ ist wichtigstes Ziel. Dieses Selbstbild entsteht durch regelmäßige Erfolgserlebnisse und schrittweise Stärkung des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten. Gerade bei schwachen Leser*innen soll so der oft vorhandene Teufelskreis des Nicht-lesen-könnens durchbrochen werden.
Der Weg der kleinen Schritte
Die 1%-Methode bietet einen Ansatz für nachhaltige Verbesserungen der Lesekompetenz. Durch systematische Integration kleiner Microhacks können Lehrkräfte ihre Schüler*innen dabei unterstützen, nicht nur bessere Leser*innen zu werden, sondern sich auch als solche zu verstehen.
Der Erfolg liegt in der Einfachheit: Kontinuierliche kleine Schritte schaffen eine solide Basis sowohl was die Lesekompetenz angeht als auch für Lesemotivation. Durch die systematische Anwendung dieser Microhacks können Lehrkräfte, aber auch Eltern eine unterstützende Umgebung schaffen, in der Lesen als selbstverständlicher Teil des Alltags erlebt wird.
Die Flexibilität des Ansatzes ermöglicht eine individuelle Anpassung an spezifische Bedürfnisse der Klasse und schafft ein ganzheitliches Förderkonzept.
[1] James Clear: Atomic Habits: An Easy & Proven Way to Build Good Habits & Break Bad Ones



