von Michaela Strobel

In jeder multikulturellen Gesellschaft ist es von grundlegender Bedeutung, dass die darin lebenden Menschen aus unterschiedlichen Kulturen einander Achtung und Respekt entgegenbringen. Bildung muss dies zum Ziel haben und darf nicht müde werden, nach Möglichkeiten zu suchen, dies im Unterricht zu verfolgen.

Worauf zielt interkulturelle Bildung?

Interkulturelle Bildung will Verständnis fördern zwischen Kulturen, indem sie Vorurteile abbaut und Offenheit und Toleranz gegenüber dem Anderen fördert. Dies kann geschehen, indem man die Perspektive wechselt, die Sicht oder das Erleben des Anderen einnimmt, dessen Welt kennenlernt und so Empathie und Verständnis fördert für dessen Werte und damit einhergehend Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen.

Lesen kann eine Schlüsselrolle in der interkulturellen Bildung einnehmen:

Warum ist gerade Literatur ein geeignetes Medium, um zwischen unterschiedlichen Kulturen zu vermitteln, also einen Beitrag zur interkulturellen Bildung zu leisten?

Lesen schafft immer den nötigen Abstand zu den Protagonisten. Es geht nie um einen selbst und trotzdem wird dem Lesenden ein Spiegel vorgehalten. Durch den fremden, den anderen Protagonisten lässt sich aus sicherer Distanz beobachten, was passiert. Die Leserin und der Leser sind nicht selbst involviert. Und dennoch können sie sich in die Gedanken, in die Gefühlswelt der handelnden Person hineinversetzen. Über die gemeinsame Lektüre und deren anschließende Aufarbeitung in Diskussionen, Projekten, medialer Darstellung oder auch im klassischen Rollenspiel kann es gelingen, Verständnis und Empathie für den Anderen und das Andere zu erlangen.

Dabei lassen sich drei Themen Schwerpunkte erkennen:

  • Wer schon immer hier lebt, hat oft Angst vor dem Neuen, dem Fremden. Hier gilt es Barrieren abzubauen und um Verständnis für das Andere zu werben.
  • Für Menschen aus anderen Ländern und Kulturen ist es für deren Integration unabdingbar, die Kultur, die Werte und damit die Handlungs- und Denkweisen im Land, in dem sie jetzt leben, zu verstehen.
  • Nicht zuletzt sind Menschen, die in ein anderes Land ziehen, aus welchen Gründen auch immer, nicht selten zerrissen zwischen Ihrer ursprünglichen Kultur und der neuen Kultur, in die sie sich einfinden müssen. Häufig fehlt es ihnen an Orientierung und Vorbildern. Geeignete Literatur kann diese bereitstellen.

Auf die Auswahl kommt es an 

Interkulturelle Bildung braucht interkulturelle Literatur. Gemeint ist damit Literatur, die sich nicht nur beschreibend mit dem Leben in anderen Ländern auseinandersetzt.  Vielmehr muss sie ansetzen bei tiefergehenden Fragen und kritischen Themen wie Identitätsfragen von einzelnen, dem Aufeinandertreffen in multikulturellen Gesellschaften und den damit entstehenden Reibungsflächen. Erkennbar werden dann auch Chancen und die Leserinnen und Leser werden dazu anregt, sich mit dem Thema tiefgreifend auseinanderzusetzen. 

Wie immer, wenn man mit Literatur ein Ziel verfolgen möchte, kommt es auf die passgenaue Auswahl bezogen auf die Klasse oder Lerngruppe an. Lehrerinnen und Lehrer wissen am besten um die Probleme in der eigenen Klasse und können aus einer Vielzahl von Literatur die geeignete auswählen. Dabei sollte vor allem darauf geachtet werden, dass Stereotypen vermieden werden und Identifikationsmöglichkeiten vorhanden sind.

Auch wenn Lehrerinnen und Lehrer ihre Klasse sehr gut kennen, kann nicht ausgeschlossen werden, dass mit solchen Themen Erlebnisse bis hin zu Traumata einzelner getriggert werden. Damit muss man immer rechnen. An vielen Orten des öffentlichen Lebens haben sich Triggerwarnungen etabliert. Wie das bei Ernst Klett Sprachen gehandhabt wird, können Sie hier nachlesen.

Für Ernst Klett Sprachen als Bildungsverlag ist das Eintreten für Offenheit und Toleranz und damit auch gegen Rassismus wichtiges Anliegen. Dem will der Verlag auch durch seine Literaturauswahl gerecht werden. Das Angebot reicht dabei vom Deutschunterricht über DaZ bis hin zu verschiedenen Fremdsprachen.

Hier finden Sie eine kurze Auswahl aus dem Verlagsprogramm:

Alina Bronsky: Scherbenpark

Die Lektüre gehört ins Genre der Migrationsliteratur: Der Entwicklungsroman thematisiert die Erfahrungen von Heimat und Fremde. Sie behandelt die Coming-of-Age-Thematik und die Identitätssuche. Hintergrund ist die Brüchigkeit der Familie und häusliche Gewalt, die sich bis zum Mord der Mutter potenziert. Ebenfalls Thema: Integrationserfahrungen: Saschas gelungene Integration im Gegensatz zu den gescheiterten Integrationsbiografien in ihrem Viertel.

Paul Fleischman: Seedfolks

Auf einem unbebauten Grundstück in der Innenstadt von Cleveland, Ohio, das zuvor als Mülldeponie diente, setzt Kim, Tochter von vietnamesischen Einwanderern, etwas in Bewegung, als sie einige Bohnen anpflanzt. Bald verwandeln Koreaner, Haitianer, Hispanics, Jung und Alt, Schwarz und Weiß das heruntergekommene Grundstück in einen blühenden Garten, der als Sinnbild des American mosaic dienen kann.

Eric Orton: Shemaz

Eine in England geborene 17-jährige Pakistanerin soll nach dem Wunsch ihres Vaters einen entfernten Verwandten heiraten. Sie will aber studieren und Ärztin werden. Als sie sich mit einem englischen Studenten anfreundet, spitzt sich der Konflikt zu.

Fabio Geda: Im Meer schwimmen Krokodile. Eine wahre Geschichte

Nachdem Enaiat von seiner Mutter außer Landes geschmuggelt wurde, erwacht er am nächsten Morgen allein. Seine Mutter hat ihn zurückgelassen und er hat nichts als seine Erinnerungen und drei Versprechen, die er ihr gegeben hat: keine Drogen, keine Waffen, niemals stehlen.

Um ein besseres Leben in Freiheit zu finden, begibt er sich auf eine lange Reise von Afghanistan aus Richtung Westen. Er durchwandert fünf Länder, reist auf Lastwagen, arbeitet, gerät in gefährliche Situationen. Doch er erreicht sein Ziel, denn „der Wunsch auszuwandern entspringt dem Bedürfnis, frei atmen zu können. Die Hoffnung auf ein besseres Leben ist stärker als alles andere.“

Jenny Erpenbeck: Gehen, ging, gegangen

Rein zufällig kommt Richard auf dem Berliner Oranienplatz in Kontakt mit jungen Asylsuchenden, die dort protestieren, denn: Sie dürfen nicht arbeiten. Bis ihre Anträge bewilligt sind, zwingt sie das Gesetz zur Untätigkeit. Doch wie lassen sich die andauernde Wartezeit und der Stillstand ertragen? Was trieb diese Menschen dazu, unter Lebensgefahr ihre Heimat zu verlassen, ein neues Leben in Europa zu suchen?

Richard sucht die Begegnung mit den jungen Afrikanern und Antworten auf seine Fragen. Der Beginn einer erstaunlichen, bewegenden und auch konfliktreichen Annäherung zweier Welten.

In diesem Beitrag wurde auf Lektüreempfehlungen aus der Sekundarstufe Bezug genommen. Kulturelle Bildung kann jedoch nicht früh genug ansetzen. Fundierten theoretischen Hintergrund zu interkultureller Bildung mit Kinderliteratur liefert das Buch von

Gabriele Scherer, Karin Vach: Interkulturelles Lernen mit Kinderliteratur: Unterrichtsvorschläge und Praxisbeispiele. Ein Praxisbuch zum interkulturellen Lernen in der Grundschule.

Neben zahlreichen Praxisbeispielen und Unterrichtsvorschläge zum Thema kulturelle Vielfalt findet man dort vielfältige Empfehlungen zu Kinderbüchern von Klasse 1 bis Klasse 6. Sicher eine wertvolle Anregung für alle, die erkannt haben, wie sehr Literatur bei kultureller Bildung unterstützen kann.